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Eine Face ID für Tiere

Vom Entsperren des Smartphones bis zur Überwachung öffentlicher Räume: Gesichtserkennung gehört beim Menschen schon längst zum Alltag. Weshalb kommt die Technologie immer öfter auch bei Tieren zum Einsatz?

Von Anne-Christine Schindler

Vor zweihundert Jahren wäre der Alpensteinbock beinahe ausgestorben. Einzig im Gran Paradiso-Massiv in Italien überlebte eine kleine Gruppe, dank der die Tiere heute wieder im gesamten Alpenraum verbreitet sind. 

Sabot ist eines der Tiere, die im Rahmen des Alpine ibex Project beobachtet werden (Foto: Alice Brambilla).

Im Rahmen des Alpine ibex Project, das vom Nationalpark Gran Paradiso geleitet und in Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten durchgeführt wird, wird diese Population seit Jahrzehnten beobachtet. Zurzeit ist daran auch die Universität Zürich beteiligt: Hier trainiert Laurens Bohlen, Masterstudent am Institut für Evolutionsbiologie und Umweltwissenschaften, ein Machine Learning-Netzwerk, das einzelne Steinböcke identifizieren kann.

Das Prinzip ist dasselbe wie bei den Gesichtserkennungssoftwares, die in den letzten Jahren zunehmend Teil unseres Alltags geworden sind. Mithilfe von über 5’000 Bildern von ein paar Dutzend Individuen lernt das System, einzelne Steinböcke zu identifizieren. Aber wozu? Was nützt eine Face ID für Tiere?

Fumin ist einer der ältesten Steinböcke der Gruppe. Um das Netzwerk zu trainieren, werden einem Algorithmus Tausende Bilder von verschiedenen Individuen «gefüttert». (Foto: Alice Brambilla / Laurens Bohlen).

Dieser Frage gehen Laurens Bohlen von der Universität Zürich und Daniel Wegmann vom Biologiedepartement der Universität Fribourg am 31. März in einem öffentlichen Gespräch im Museum für Gestaltung nach. Am konkreten Beispiel des Alpine ibex Project führen sie aus, warum ein Algorithmus, den fast jede:r aus dem Alltag kennt, in der Ökologie eingesetzt werden kann und womöglich auch soll. Davon ausgehend gehen sie näher auf den Einsatz von Machine Learning im gesamten Bereich der Ökologie ein. Sie beschreiben Vorteile und Ideen für die Zukunft – und beleuchten diese kritisch. Denn neben technischen Herausforderungen und Nachhaltigkeitsfragen werfen solche Algorithmen auch philosophische und ethische Fragen auf.

Das Machine Learning-Netzwerk lernt so, die Individuen anhand bestimmter Merkmale zu unterscheiden. (Foto: Alice Brambilla / Laurens Bohlen).

Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung Planet Digital statt, einer Kooperation zwischen dem Museum für Gestaltung und der Universität Zürich. Sie lässt sich gut mit einem Ausstellungsbesuch verbinden – denn im Museum ist mit dem begehbaren Pavillon Triggered by Motion eine Videoinstallation zu sehen, die mit Aufnahmen von über 20 Wildtierkameras aus der ganzen Welt den Einfluss von Machine Learning-Anwendungen auf die Tierökologie dokumentiert. Auch Laurens Bohlen und das Alpine ibex Project sind an Triggered by Motion beteiligt.

Für die Videoinstallation Triggered by Motion haben über 20 Kamerafallen weltweit ein ganzes Jahr gefilmt. Hier eine Aufnahme aus dem Nationalpark Gran Paradiso (Video: Triggered by Motion).

Heute ist der Alpensteinbock eine Vorzeigespezies, weil seine Wiederansiedlung in der gesamten Alpenregion zu den erfolgreichsten Beispielen für Arterhaltung in Europa zählt. Inwiefern neue digitale Werkzeuge diese Erhaltungsmassnahmen unterstützen und erweitern können, wird sich zeigen – die Zukunft sieht vielversprechend aus.